Die Psychologie der (Büro)Räume – Teil 2

Was bedeutet Aneignung von Raum und warum ein Mindestmaß an Kontrollmöglichkeit wichtig ist!

In dieser kleinen Serie zur Psychologie der Büroräume gebe ich Einblicke in die wesentlichen psychologischen Mechanismen, ihren Einfluss auf Akzeptanz, Wohlfühlen und schlussendlich Effektivität der neuen Arbeitsräume und zeige Ansätze, wie diese Mechanismen in der Implementierung berücksichtigt werden können.

Teil 1 – ist bereits erschienen und beschäftigte sich mit dem Bedürfnis nach Privatheit und der Bedeutung des Territoriums
Teil 2 – zeigt auf, wie Aneignung von Raum stattfindet und warum ein Mindestmaß an Kontrollmöglichkeiten wichtig ist
Teil 3 – untersucht, wie sich soziale Kontakte in non-territorialen Umgebungen verändern

Teil 2

Die Aneignung von Raum

Unter Aneignung von Raum versteht man das sich zu Eigen machen eines Raums. Das heißt, den Raum als den Eigenen zu erleben und ihn auch als Territorium wahrzunehmen. Das sich zu Eigen machen eines Raums kann über äußere Spuren (Markierungen, Personalisierung, Verändern) erfolgen aber ebenso über psychische Prozesse (Erforschen, Kategorisieren, Benennen, Planen, Verwalten). Kleinkinder zum Beispiel eigenen sich einen Raum über das Erforschen an.

Welche Bedeutung hat die Aneignung von Raum im Kontext von Arbeitsräumen? Der Arbeitsraum und nicht zuletzt der Arbeitsplatz ist ein wichtiger Aspekt für die Identifikation mit dem Unternehmen, ein Anker für die Zugehörigkeit zum Unternehmen. Das geht soweit, dass der Verlust des eigenen Schreibtisches oft unbewusst mit einem Verlust des Jobs gekoppelt wird, und daher starke emotionale Reaktionen auslösen kann. (Arbeitsplatz/Schreibtisch = Arbeitsplatz/ Job)

Weiters werden Räume, die als eigene wahrgenommen werden, anders belebt, verteidigt, genutzt und gepflegt als öffentlicher oder halböffentlicher Raum. Im klassischen Zellenbüro findet Aneignung über Personalisierung, Veränderung, Behübschung und dem Positionieren von klar zuordenbaren Gegenständen statt (z.B. Ablage von Unterlagen).

In non-territorialen Büros ist es eine Herausforderung, Möglichkeiten für eine gelungene Aneignung von Raum zu schaffen. Nicht mehr der eigene Schreibtisch oder das eigene Zimmer ist der Anker sondern eine Zone/Stockwerk/Homebase wird angeeignet. Der angeeignete Raum ist kein privater Raum mehr, sondern ein geteilter Raum bzw. halböffentlicher Raum. Zur Herausforderung der persönlichen Aneignung kommt noch die Notwendigkeit der Aushandlung der Spielregeln mit einer größeren Gruppe.

Hier einige Chancen und Möglichkeiten, wie Aneignung in non-territorialen Büroumgebungen gefördert werden kann.

1. Investition in Verstehen und Akzeptanz des Raumkonzepts. Mitarbeiter, die Vorteile und Potentiale des Raumkonzepts für sich selbst sehen und den Sinn verstehen, tun sich leichter in der Aneignung einer geteilten Fläche.

2. Einbindung in die Planung/ Detailplanung. Mitgestaltung und Mitentwicklung sind bereits ein Akt der Aneignung, da ich ja etwas von mir hineingegeben habe.

3. Mitentscheiden bei Möbeln/ Gestaltung/ Ausstattung. Weniger starker Effekt als bei Punkt 2 aber auch eine Möglichkeit, eigene Footprints zu hinterlassen.

4. Spielraum für die finale Gestaltung durch die Nutzergruppe. Sei es in der Gruppierung und Anordnung der Möbel, der Pflanzen, des Design.

5. Spielraum für persönliche Details. z.B. gestaltbare Wand durch die Nutzer. Ein Akt der Personalisierung auf einer gemeinsamen verwendeten Fläche.

6. Entwicklung von gemeinsamen Spielregeln im Umgang mit den geteilten Räumen. Jede Auseinandersetzung mit der Fläche hilft sich dafür auch verantwortlich zu fühlen

Die Aneignung des Raums ist elementar für den späteren Umgang mit dem Raum, der zweckmäßigen Verwendung, der Sorgfalt und der sozialen Kontrolle. Sie hängt eng mit dem Gefühl der Umweltkontrolle zusammen.

Die Umweltkontrolle

Die Möglichkeit der Kontrolle des unmittelbaren Arbeitsumfelds ist der wichtigste Faktor für die Zufriedenheit mit der physischen Arbeitsumwelt. Der Neurowissenschafter David Rock geht sogar soweit: Research shows that giving people autonomy over their space resulted in about a one-third increase in productivity. Im Arbeitskontext gibt es eine psychologische Komponente der Umweltkontrolle (Gefühl der Autonomie und Selbstvertrauen, Spielraum bei Entscheidungen, Möglichkeit Veränderungen mitbeeinflussen zu können) und eine physische Komponente (Kontrolle über Raumgestaltung und –stressoren). Am stärksten wahrgenommen wird eine Nicht-Beeinflussbarkeit der Basis-Wohlfühlfaktoren wie Licht, Luft, Temperatur und Lärm.  Potentielle Stressoren nicht beeinflussen zu können wirkt sich negativ auf die Zufriedenheit mit der Arbeitsumgebung und auch auf die Leistung aus (eine häufige aber nicht notwendige Kritik an Open Space Büros).

Umweltkontrolle in Multi-Space Büros und non-territorialen Arbeitsräumen

1. Einbindung in die Planung. Wie auch bei der Aneignung von Raum ist eine Partizipation im Designprozess eine Möglichkeit, die Arbeitsumgebung mitbeeinflussen zu können und wirkt sich auf das Gefühl von Kontrolle aus. Doch gerade wenn es um die Basis-Wohlfühlfaktoren geht ist eine Beeinflussbarkeit in offenen Raumkonzepten meist sehr limitiert und mit intensiven Aushandlungsprozessen im Team verbunden. Da es hier sehr große Unterschiede in der persönlichen Wahrnehmung und Befindlichkeit gibt, wird man selten alle Beteiligten zufriedenstellen können.

2. Stressoren aus dem Weg gehen können. Ein Ansatz ist, bei der Gestaltung bewusst wärmere und kühlere Zonen zu schaffen, Orte mit unterschiedlichen Lichtqualitäten zur Verfügung zu stellen und Räume mit zu öffnenden Fenstern zu planen.

3. Selbstbestimmung des Arbeitsortes. Non-territoriale Arbeitsräume können „verloren“ geglaubte Umweltkontrolle gut ausbalancieren, da über die freie Wahl des Arbeitsortes wieder Kontrolle (oft sogar eine größere) gegeben ist und man auf die unterschiedlichen Bedürfnisse im Laufe eines Tages auch eingehen kann. Voraussetzung ist dabei, dass auch im Sinne der Bereitstellung unterschiedlicher Qualitäten von Arbeitsorten geplant wird. Verschiedene Varianten an taktilen, auditiven, visuellen, stimulierenden Umgebungen müssen vorhanden sein, um eine echte Wahlfreiheit zwischen Öffentlichkeit, Privatheit, Lärmniveau, visueller Exponiertheit, Anregung usw. zu ermöglichen.

Steelcase hat dies in 4 Designprinzipien zusammengefasst:

Permission to be alone. The freedom to focus and innovate without interrupption from an otherwise highly stimulating workplace

User control over environment. The ability to control elements of the workspace

Sensory balance. The ability to control sesory stimulation, often in the form of calming, more intimate influences

Psychological safety. Having the choice of place to be unseen and unable to see others

http://360.steelcase.com/articles/the-quiet-ones/

von |Oktober 27th, 2014|Schlagwörter: , , |

Die Psychologie der (Büro)Räume – Teil 1

Vom Zellenbüro zum non-territorialen Büro. Wie wirken diese neuen Räume auf Menschen in kognitiver, emotionaler und sozialer Hinsicht? Die Erkenntnisse der Architekturpsychologie helfen diese Prozesse besser zu verstehen und in der Implementierung zu berücksichtigen, in der kulturellen Entwicklung wie in der räumlichen Gestaltung.

Der Paradigmenwechsel in der Rolle des Büros trifft auf elementare menschliche Bedürfnisse. Ein Nicht-Eingehen auf diese Bedürfnisse zeigt sich in hochemotionalem Widerstand gegen die geplante räumliche Veränderung, im Festkrallen an Details und vermeintlichen Sachargumenten. Der Kampf um den Blumentopf torpediert die Idee und damit Nutzen, Vorteile und Freude auf das neue Büro.

In dieser kleinen Serie gebe ich Einblicke in die wesentlichen psychologischen Mechanismen, ihren Einfluss auf Akzeptanz, Wohlfühlen und schlussendlich Effektivität der neuen Arbeitsräume und zeigen Ansätze, wie diese Mechanismen in der Implementierung berücksichtigt werden können.

  • Teil 1  – beschäftigt sich mit dem Bedürfnis nach Privatheit und der Bedeutung des Territoriums
  • Teil 2  – zeigt auf, wie Aneignung von Raum stattfindet und warum ein Mindestmaß an Kontrollmöglichkeiten wichtig ist
  • Teil 3  – untersucht, wie sich soziale Kontakte in non-territorialen Umgebungen verändern

Teil 1 – Das Bedürfnis nach Privatheit und die Bedeutung des Territoriums

Das Bedürfnis nach Privatheit ist ein elementares Bedürfnis, dem in vielen Arbeitsumgebungen zu wenig Platz gegeben wird. Im Arbeitskontext geht es bei der Suche nach Privatheit nicht nur um den Rückzug vor anderen, sondern auch um die Möglichkeit der Kontrolle unserer Aussenreize. Privatheit etabliert sich in: 1) der Möglichkeit des Rückzugs von Anderen 2) der Kontrolle wieviel Information andere über uns haben und  3) der Regulation der Interaktion  im jeweiligen Moment. Die Lösung liegt nicht im Rückzug in Zellenbüros, Privatheit kann in vielen Settings hergestellt werden und ist ein hochindividuelles Empfinden. Viele Untersuchungen zeigen, dass  Arbeitsumgebungen die Privatheit (allein, zu zweit) genügend (auch ungeplanten) Raum geben und in ein gutes Verhältnis zum Kollaborationsraum setzen, erfolgreich sind.

Das global agierende Büromöbelunternehmen Steelcase hat zum Thema Privatheit in Arbeitsumgebungen geforscht und in 5 Erkenntnissen über das Erleben individueller Privatsphäre zusammengefasst. Siehe auch Steelcase Artikel „The privacy crisis“

1. Strategische Anonymität: Unerkannt bleiben/ „Unsichtbar sein“  Mit der Möglichkeit anonym zu bleiben entzieht man sich den durch normale Sozialkontrolle auftretenden Zwängen. z.B. das Arbeiten in einem Cafe hilft den sozialen Ablenkungen am Arbeitsplatz zu entgehen und durch die Geräusche den genau richtigen denkanregenden Stimulus zu bekommen

2. Selektive Exposition: Bestimmen, was andere sehen  Menschen selektieren welche Information sie über sich anderen preisgeben und präsentieren sich auch unterschiedlich je nach Gegenüber. Die neuen Kanäle machen die Entscheidung, was man über sich preisgibt und wie sicher das ist schwieriger. In der Gestaltung von Arbeitsumgebungen kann am darauf eingehen: Telefon statt Videokonferenz, Rückzugsräume für private Gespräche und entspanntere Posen.

3. Umgang mit Vertraulichkeit: Vertrauliche Mitteilungen Privatsphäre heißt auch die Suche nach ungestörten Momenten, alleine, zu zweit oder dritt. Dafür sollte in modernen Büroumgebungen genügend Raum sein, semi- und ganz private Gespräche müssen möglich sein, ohne das jede(r) weiß wer mit wem zusammensitzt. Dh dass es auch nicht einsehbare Besprechungsmöglichkeiten braucht.

4. Bewusstes Abschirmen: Selbstschutz   Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen persönlichem Territorium und Selbstempfinden. Wir ergreifen aktive Maßnahmen um uns davor zu schützen. Am Arbeitsplatz kann es der Versuch sein, sich vor neugierigen Blicken oder Einmischung zu schützen. Z.B. durch Tragen von Kopfhörern, mit dem Rücken zur Wand sitzen, Weggedrehtem Bildschirm, uneinsichtigen Enklaven

5. Gezieltes Alleinsein: Sich bewusst von anderen absondern Bewusstes Alleinsein ist physischer Natur: Man kann sich vorsätzlich von einer Gruppe absondern, sich eine kurze Ruhepause gönne, seinen Gefühlen freien Lauf lassen,… zB. sich  bewusst einen anderen Platz suchen, nach draußen gehen, Signale setzen

Gerade in sehr transparenten, offenen Arbeitsumgebungen ist es wichtige auch einen kulturellen Code/ Signale zu entwickeln und in der Unternehmenskultur zu etablieren, die Alleinsein, Ungestörtheit, Abschirmung wenn gewünscht möglich macht. Das kann über klar deklarierte Orte sein oder über kleine persönliche  Signale (Kopfhörer, etc) die respektiert werden.

Der Verlust des eigenen Territoriums in modernen Arbeitwelten muss durch Möglichkeiten Privatheit herzustellen kompensiert werden. Territorialität bezeichnet das Bedürfnis, über ein Territorium zu verfügen und Distanz gegenüber anderen aufrechterhalten zu können. Ein individueller Arbeitsraum ist ein primäres Territorium und bietet ein hohes Maß an Zugangs- und Verhaltenskontrolle. Im Arbeitsleben begegnet uns das oft als das mit Machtsymbolik aufgeladene „Chefzimmer“. Untersuchungen zeigen, dass es im eigenen Raum einen Heimvorteil gibt, da das Erleben von Kontrolle und Macht im eigenen Territorium gestützt wird. Interessant ist, wie diese Aspekte der Kontrolle in halböffentlichen, von Gruppen genützten, Räumen  hergestellt werden können.

 

von |September 23rd, 2014|Schlagwörter: , , |